Kategorie: Arbeitszeiten

Arbeitszeiten

7 Tage Ö1

Rudi Karazman in der Diskussionsrunde beim Ö1 Gesundheitsdoktor

Alternsgerechte Arbeitswelt

Medizin und Gesundheit

Gesund arbeiten – Von 15 bis 65

Den Arbeitsmedizinern und den Firmen wird wohl nicht so schnell langweilig. Eine der großen Herausforderungen für die Wirtschaft besteht darin, die Arbeitswelt gesund zu gestalten. Dies gilt natürlich für alle Altersgruppen. Besonders sensibel ist jedoch die Gruppe der älteren Mitarbeiter – altersgerechtes Arbeiten lautet hier das Schlagwort.

Steigender Druck auf Arbeitnehmer

Die Arbeitswelt war in den letzten Jahrzehnten gravierenden Änderungen unterworfen. Zu den bedeutendsten gehörten fortschreitende Technisierung und Digitalisierung. Diese hatten zur Folge, dass viele körperlich extrem anstrengende Arbeiten nun von Maschinen erledigt werden können, und viele weitere von Computern.
Die Arbeit ist zwar insgesamt körperlich einfacher geworden, aber der Ablauf der Arbeitsprozesse wurde über die Jahre komprimiert und beschleunigt, um die Produktivität zu steigern. Damit erhöht sich der Druck auf die Arbeitnehmer gewaltig.

Immer mehr psychische Erkrankungen

Burnout und Mobbing am Arbeitsplatz sind seit Jahren Dauerbrenner. Dementsprechend führen die (immer häufiger werdenden) psychischen Erkrankungen zusammen mit Erkrankungen des muskuloskelettalen Systems die Liste der Ursachen für krankheitsbedingte Frühpensionierungen an. Die positive Nachricht: Seit dem 1. Juli 2017 können länger erkrankte Menschen mit dem Arbeitgeber eine Wiedereingliederungsteilzeit vereinbaren.
War es noch von etwa 30 Jahren Usus, ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in großem Stil in Frühpension zu schicken, ist das heute schon aufgrund der demografischen Entwicklung nicht mehr möglich. So sind derzeit in Österreich über eine Million unselbstständige Erwerbstätige älter als 50 Jahre.

„Innere Pensionierung“

Doch viele Unternehmen haben diese Entwicklung regelrecht verschlafen. Noch immer sind vielerorts Betriebe auf junge Menschen zugeschnitten. So werden oftmals Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über 50 Jahre nicht mehr zu Fortbildungen zugelassen, oder sie sind in ihren Aufgaben schlicht unterfordert. Sinnentleerung, „innere Pensionierung“ und letztendlich Krankheiten sind die Folge.

Im Alter mehr Kompetenz, Empathie und Loyalität

Dabei steckt in älteren Menschen viel Potenzial. Natürlich erfolgt ein körperlicher Abbau – der übrigens schon mit 25 beginnt. Kognitiv-psychisch bleibt der ältere Mensch gleich. Aber Fähigkeiten wie Kompetenz, Verantwortungsbewusstsein, Empathiefähigkeit, Loyalität und Durchhaltewillen steigen mit zunehmendem Alter an. Hier sind die Unternehmen gefordert, die Arbeitswelt den Bedürfnissen und Anforderungen älterer Menschen anzupassen.

Flexiblere Arbeitszeiten und anspruchsvolle Aufgaben

Hauptansatzpunkte dafür seien eine Verkürzung der Arbeitszeit, sowohl der täglichen als auch der wöchentlichen, wie der Arbeitsmediziner Rudolf Karazman meint. Arbeitszeiten müssen flexibler gestaltet werden, insbesondere die Schichtarbeit. Die Altersteilzeit sollte ausgebaut werden. Und vor allem brauchen ältere Menschen anspruchsvolle Aufgaben, dafür weniger Druck, und keine betrieblichen Barrieren.

Betriebe mit Gütesiegel

Zahlreiche Projekte, wie beispielsweise „fit2work“ oder „Demografieberatung“, aber auch spezialisierte Unternehmen unterstützen Betriebe in ihren Bestrebungen, altersgerechtes Arbeiten für alle Altersgruppen zu ermöglichen. Viele Firmen haben dieses Ziel bereits erreicht und dafür das Gütesiegel „Nestor“ des BM für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz erhalten.
Altersgerechte Arbeit erhält Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesund. Die erhöhte Wertschätzung kommt letztendlich allen zugute.

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

Arbeiten Sie in einem alternsgerechten Umfeld?

Sind Sie mit Ihrem Arbeitsumfeld zufrieden?

Wurden Sie an Ihrem Arbeitsplatz jemals aufgrund Ihres höheren Alters benachteiligt?

Welche Veränderungen würden Sie sich von der Unternehmensseite her wünschen?

Unter welchen Umständen würden Sie über das Regelpensionsalter hinaus arbeiten wollen?

 

Text: Michaela Steiner

Gestaltung: Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger

Prof. Dr. Rudolf Karazman
FA für Psychiatrie und Neurologie, Arzt für Arbeitsmedizin, Psychotherapeut,
Gründer des Beratungsunternehmens „Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement GmbH“

Mag.a Maria Kaun
Referentin für Arbeitsmarkt
Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit
Wirtschaftskammer Österreich

 

Dr.in Irene Kloimüller, MBA
Psychotherapeutin, Unternehmens- und Organisationsberaterin
Wert:Arbeit

 

arbeit&alter
Demografieberatung für Beschäftigte und Betriebe
Arbeiterkammer
AMS – Impulsberatung für Betriebe
fit2work für Personen und Betriebe
Wiedereingliederungsteilzeit
Berufliche Rehabilitation (inklusive Antrag)
gesunde arbeit (Bundesarbeitskammer, ÖGB)
netdoktor.at: Alternsgerechtes Arbeiten
derstandard.at: Arbeitsmarkt: Was für Ältere getan wird
w24: Arbeitszeit: Mediziner warnen vor Folgen der Ausweitung

Cornelia Schneider, „Reife Leistung – Erfolgreich älter werden im Beruf“, Verlag Herder 2014

Hans-Georg Wilmann, „Durchstarten mit 50 plus: Wie Sie Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt nutzen“, Campus Verlag 2018

Claudia Andersch, „Gesund im Job – Krankheitseinflüsse in einer sich wandelnden Berufswelt“, Bachelor & Master Publishing 2018

 

Karazman Rendi-Wagner Pressekonferenz

»Lange Arbeitszeiten machen krank, die Menschen sind keine Maschinen«

SPÖ Parlamentsklub
SPÖ Parlamentsklub
Die Gesundheitssprecherin Pamela Rendi-Wagner hat in einer Pressekonferenz mit renommierten Arbeitsmedizinern die 60-Stunden-Woche thematisiert. Die Einschätzung ist eindeutig: Lange tägliche Arbeitszeiten machen krank, wenn sie nicht durch eine drastische Verringerung der Wochenarbeitszeit ausgeglichen werden.

Am 3. Juli hat die Gesundheitssprecherin Pamela Rendi-Wagner in einer Pressekonferenz mit den renommierten Arbeitsmedizinern Prof. Rudolf Karazman und Prim. Dr. Erich Pospischil sowie dem Psychiater Prim. Georg Psota lange Arbeitszeiten erörtert. Eine „Entgrenzung der Arbeitszeit“ wird direkt mit der Gesundheit der Menschen bezahlt und mit höheren Kosten im Gesundheitssystem und für Frühpensionen.

Rendi-Wagner sorgt für das, was ihrer Meinung nach die Regierung unbedingt vermeiden möchte, nämlich eine tiefergehende Diskussion mit ExpertInnen darüber, was die 12 Stunden Tages- und 60 Stunden Wochenarbeitszeit für die Gesundheit der Menschen bedeutet.

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„Wir wissen, dass überlange Arbeitszeiten krank machen. Aus dem einfachen Grund, weil die Menschen keine Maschinen sind. Der Mensch hat natürliche Leistungsgrenzen, die man respektieren muss“, sagte die SPÖ-Gesundheitssprecherin, die selbst auch Ärztin ist. „Menschen sind keine Maschinen, die man einfach auf eine längere Betriebszeit einstellen kann.“

Sie verlangt vom ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz, der sich prioritär mit dem Grenzenschließen beschäftigt, dass er endlich die sozialen und gesundheitlichen Grenzüberschreitungen seines Arbeitszeitgesetzes erkennt. Rendi-Wagner: „Wo ist die soziale Grenzschutzsicherung?“

Arbeitsmediziner warnen vor 60-Stunden-Woche​

Der Primararzt Erich Pospischil ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Facharzt für Arbeits- und Betriebs- sowie Innere Medizin. Er sagt, aus arbeitsmedizinischer Sicht geht es immer auch um den Erhalt und die Förderung der Arbeitsfähigkeit. Die Ausweitung der Höchstarbeitszeiten auf 12 Stunden am Tag und 60 Stunden die Woche werde „eine Fülle von Problemen“ verursachen, die bis jetzt wenig diskutiert wurden. Er warnte vor erheblichen Nachteilen bis hin zu Erkrankungen der ArbeitnehmerInnen.

Die Evidenz des Studienmaterials sei „erdrückend“, sagte Pospischil. Je länger die Arbeitszeiten, desto höher ist das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, Herzrhythmusstörungen und Schlaganfälle. Die Auswirkungen verschärften sich noch einmal mit dem Alter der Arbeitnehmer und der Belastung (körperlich und psychisch). Negativ dürfte sich das Plus bei der Arbeitszeit auf die Lebensarbeitszeit und das Pensionsantrittsalter auswirken, die krankheitsbedingten Frühpensionierungen würden dadurch wieder zunehmen.
„Eine Entgrenzung der Arbeitszeit gefährdet die Gesundheit und die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten“​

Professor Rudolf Karazman, Arbeitsmediziner und Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, sagt, dass eine Mehrheit der ArbeitnehmerInnen schon heute „im gelben und roten Bereich“, was ihre körperliche und psychische Belastung betrifft, arbeiten. Denn schon innerhalb der Grenzen des geltenden Arbeitszeitrechts sei die Arbeitsintensität durch Verdichtung, Beschleunigung, Technologie und Deregulierung sehr hoch. „Eine Entgrenzung der Arbeitszeit gefährdet die Gesundheit und die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten“, sagt Karazman.

Der Experte machte klar, dass einerseits die Erschöpfung mit jeder weiteren Arbeitsstunde immer größer wird – „ab der siebenten und achten Stunde kracht es schon“. Bei 12 Stunden werde die Erschöpfung maximiert – und da kommt das dazu, was der Wissenschafter „sozial wirksame Arbeitszeit“ nennt, also die Zeit, die man nach so langen Arbeitszeiten für die Erholung braucht, wird auch immer länger. Das heißt, wenn schon eine freiwillige 12-Stundenarbeit, dann nur in Kombination mit einer 30-Stundenwoche.

Auch Karazman machte klar, dass für ältere Arbeitnehmer die langen Arbeitszeiten ein Riesenproblem darstellen: „Acht Stunden Nachtarbeit mit 50 sind so anstrengend wie 16 Stunden Tagarbeit.“ Für ältere Arbeitnehmer gelte in besonderem Maß, wenn eine hohe tägliche Arbeitszeit nicht durch eine niedrige Wochenarbeitszeit ausgeglichen wird, wird das letztlich die krankheitsbedingten Frühpensionierungen in die Höhe treiben.

Lange Arbeitszeiten führen zu Depressionen

Der Past Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Chefarzt Prim. Dr. Georg Psota, warnt davor, dass länger arbeiten, das Auftreten von psychischen, insbesondere von Depressionen und Angststörungen, und körperlichen Erkrankungen nachweislich erhöht. Dass 60-Stundenwochen über längere Zeiträume die Gesundheit gefährden, sei aus der wissenschaftlichen Datenlage unzweifelhaft. In ganz Europa sei die zunehmende Zahl von Invaliditätspensionen aufgrund psychischer Erkrankungen ein Riesenthema.

Denn während Personen Mitte 20 – „young, free and single“ – gelegentliche längere Arbeitszeiten leichter wegstecken, schaue es 20 Jahre später für Menschen mit Betreuungspflichten sehr schnell ganz anders aus, da bedeuten lange Arbeitszeiten permanent gesundheitsschädlichen Stress. „Das Toxin der heutigen Zeit ist Stress“, sagt Psota. „Chronischer Stress ist kein Spaß; wir sind da heute schon an der Grenze“, so der Experte.

Menschen sind keine Maschinen

Österreich

»12-Stunden-Tag: Mediziner warnen vor Gesundheitsfolgen«

Experte: Rudolf Karazman

Nach seinen Erkenntnissen sehen sich die meisten Arbeitnehmer durch starken oder sogar sehr starken Stress belastet. Die Ursachen dafür lägen in hoher Arbeitsintensität bedingt durch Beschleunigung, Technologie und Deregulierung. „Eine Entgrenzung der Arbeitszeit ist kontraproduktiv“, sagte Karazman.

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burnout

Die vorgeschlagene Flexibilisierung der Arbeitszeit wirkt wie die Freigabe Alkoholgrenze im Straßenverkehr

Wien (OTS) – Auf die vorgeschlagene Novelle des Arbeitszeitgesetzes reagieren ArbeitszeitforscherInnen kritisch. „Der aktuelle Forschungsstand der Arbeitszeitforschung spricht eine klare Sprache gegen die vorgeschlagene Novelle“, so der Obmann der deutschsprachigen Arbeitszeitgesellschaft (D,A,CH) – Univ. Doz. Dr. Johannes Gärtner von der TU-Wien und der XIMES GmbH.

Zum Hintergrund

Die vorgeschlagene Novelle des Arbeitszeitgesetzes und Arbeitsruhegesetz beinhaltet eine Reihe von Änderungen. Im Wesentlichen sind diese

  • Erleichterungen bei der Anhebung der Höchstgrenzen der Arbeitszeiten (auf 12h tägliche und 60h wöchentliche Arbeitszeiten)
  • Erweiterungen von Ausnahmekatalogen z.B. im Hinblick auf Wochenend- und Feiertagsruhe und Verkürzung der Ruhezeiten

Aktuelle Forschung zur Arbeitszeit

Wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Arbeitszeitforschung machen deutlich, dass die im Arbeitsschutz verankerten Regeln einen hohen Wert haben.

  • Der wissenschaftlich sehr gut abgesicherte Forschungsstand lässt erhöhte Unfall- und Fehlerquoten erwarten. So steigt die Unfallwahrscheinlichkeit erheblich (in extremen aber zulässigen Formen auf das 3-5-fachen des Normalwertes (z.B. bei mehreren Nachtschichten mit 12. Stunden bei der Heimfahrt). Derartige Erhöhungen des Risikos entspricht derer einer starken Alkoholisierung!
  • Ähnlich sind die Ergebnisse für verkürzte Ruhezeiten. Bei der Erleichterung von verkürzten Ruhezeiten wie z.B. im Bereich der Gastronomie ist mit höheren Unfallwahrscheinlichkeiten zu rechnen.
  • Studien zur Gastronomie in Deutschland zeigen, dass die hohen Arbeitszeiten bereits jüngere Beschäftigte schädigen. Für die Kombination langer Arbeitszeit mit mittleren bis belastenden Arbeitsbedingungen oder Lebensumständen sind schwere gesundheitliche und soziale Nachteile zu erwarten.
  • Arbeitszeiten – wie sie für günstige Umstände über kürzere Zeiträume vertretbar sind – in dieser Breite zu öffnen, schädigt.

Statt nach innovativen Wegen der Verbindung von Arbeit, Gesundheit und Sozialem zu suchen werden hier sehr viele wichtige Arbeitsschutzregeln wider besseren Wissens zerstört. Die ArbeitszeitforscherInnen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland sehen es als ihre Pflicht an, vor den möglichen Folgen zu warnen.

Univ. Doz. Dr. Johannes Gärtner
Für den Vorstand der Arbeitszeitgesellschaft & TU Wien

Rückfragen & Kontakt:

Univ. Doz. Dr. Johannes Gärtner
Arbeitszeitgesellschaft und TU Wien

Johannes.gaertner@tuwien.ac.at
0676 636 0746
www.arbeitszeitgesellschaft.at